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Syringomyelie, Hydromyelie, Arnold-Chiari-Malformation

Syringomyelie

Die Syringomyelie (gr.: syrinx = Flöte, Hohlraum, myelon = Mark, hier: Rückenmark) ist eine Höhlenbildung im Rückenmark. Die Erkrankung geht bei vielen Betroffenen vor allem mit Schmerzen und Missempfindungen in unterschiedlichen Körperregionen außerhalb des Kopfes einher, je nachdem, an welcher Stelle im Rückenmark sich die Höhlenbildung (Syrinx) befindet. Wenn die Syrinx sehr hoch im Halsmark liegt oder zusätzlich ein Hydrocephalus (Hirnwasserabflussstörung) oder eine (Arnold-)Chiari-Malformation (eine Fehlbildung der hinteren Schädelgrube) besteht, dann können auch Kopfschmerzen auftreten.

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Die Höhlenbildung im Rückenmark hat oft eine Ursache in einer Blockade der Zirkulation des Hirnwassers, welches auch das Rückenmark umspült. Wenn Tumore im Rückenmark ausgeschlossen sind, können diese Zirkulationsstörungen im Wesentlichen durch zwei verschiedene Konstellationen ausgelöst werden:

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a) eine Chiari-Fehlbildung

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b) eine Verklebung des Rückenmarks mit der harten Rückenmarkshaut (engl.: „tethered cord“ = „verankertes Rückenmark“) über (narbige) Verstärkungen der Spinnenhaut (Arachnoidea) bzw. Zysten der Arachnoidea.

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Hydromyelie

Können diese Ursachen ausgeschlossen werden, dann spricht man oft (zur Abgrenzung von der Syringomyelie) von einer Hydromyelie (gr.: hydros = Wasser). Patienten mit Hydromyelie können manchmal ebenfalls an starken Schmerzen und Missempfindungen leiden, die Erkrankungszeichen und die Ausdehnung der Höhle im Rückenmark nehmen aber im Verlauf nicht weiter zu – sie sind nicht „progredient“. Die Behandlung dieser oft angeborenen Erweiterung des zentralen Rückenmarkskanals (Zentralkanal) ist daher auch rein symptomatisch. Man muss hier keinen fortschreitenden körperlichen Krankheitsprozess unterbrechen, um die Erkrankung aufzuhalten.

MRT des Kopf-Hals-Übergangs und der Halswirbelsäule eines Patienten mit Tiefstand von Anteilen des Kleinhirns (Chiari-Malformation) und Syringomyelie

MRT des gleichen Patienten nach mikrochirurgischer Beseitigung der Fehlbildung. Die Syrinx in Höhe des 2.-4. Halswirbels ist deutlich zusammengefallen

Generell gilt für beide Erkrankungen, dass es nur selten gelingt, einmal aufgetretene Krankheitssymptome wieder rückgängig zu machen. Außerdem sollte der Arzt bei Patienten mit nachgewiesener Höhlenbildung im Rückenmark immer auch bemüht sein, die Krankheitszeichen herauszufiltern, die durch andere Ursachen (z.B. Bandscheibenvorfälle, Nervenengpasssyndrome, Somatisierungsstörungen usw.) bedingt sind.

 

Wie kann man eine progrediente Syringomyelie von einer nicht progredienten Hydromyelie unterscheiden?

 

Eine hunderprozentig trennscharfe Diagnostik gibt es zwar (noch) nicht, aber eine recht gute Trennung ist durch folgendes diagnostisches Vorgehen möglich:

 

1. Exakte Erhebung der individuellen Krankheitsgeschichte (Anamnese)
Liegt keine der folgenden Bedingungen vor, dann ist eine progrediente Syringomyelie unwahrscheinlich: (Arnold-)Chiari-Malformation, Tethered cord, Spina bifida (occulta), Arachnoidalzyste, Intraspinale Tumoren, schwere Skoliose, schweres spinales Trauma (bzw. OPs), Meningitis, Periduralanästhesie

 

2. Symptombezogene neurologische Untersuchung
Objektivierbare neurologische Defizite machen das Vorliegen einer progredienten Erkrankung wahrscheinlicher.

 

3. Bildgebende Diagnostik (dynamische Liquorstudie = cine MRI, FIESTA/CISS)
Neben „normalen“ MRT-Bildern zum Ausschluss einer Chiari-Fehlbildung und von Tumoren im Rückenmarkskanal sind zum Ausschluss eines „Tethered cord“ bzw. einer Arachnoidalzyste folgende spezielle MRT-Untersuchungen erforderlich, die meist nur von spezialisierten Zentren angeboten werden:

a) dynamische Liquorflussstudien, bei denen die Liquorpulsation und –zirkulation im Rhythmus des Herzschlages „gefilmt“ wird (cine-MRT im 3-Tesla-Scanner)

b) sehr feinschichtige MRT-Untersuchungen, in denen feinste Verklebungen der Arachnoidea noch sichtbar gemacht werden können (FIESTA, CISS).

 

4. Elektrophysiologie
Ein (teilweiser) Verlust der natürlicherweise auftretenden „Innervationsstille“ (engl.: silent period) in einem Muskel nach schmerzhafter elektrischer Reizung des zugehörigen Hautareals ist typisch bei Patienten mit Syringomyelie, nicht aber bei Patienten mit Hydromyelie. Die natürliche Hemmung des Muskels erfolgt über sehr kurze Nervenfasern auf jeder Ebene im Rückenmark. Diese Fasern werden durch eine Syrinx zerstört (Roser et al, A new concept in the electrophysiological evaluation of syringomyelia J Neurosurg Spine 8:517–523, 2008) Auch verändert, wenn auch weniger treffsicher, können motorisch evozierte Potenziale (MEP) und somatosensorisch evozierte Potenziale (SSEP, Abschwächung oder Verlust von N13 bei normaler N20) sein – elektrophysiologische Untersuchungen, die entweder aufsteigende oder absteigende Rückenmarksbahnen untersuchen.

  

Alle diese Untersuchungen sind prinzipiell während eines kurzstationären Aufenthalts innerhalb von zwei Tagen durchführbar und auswertbar, wenn zuvor die Ressourcen gut organisiert werden. Patienten, Betreuer und Ärzte können unser Zentrum dazu telefonisch oder per E-Mail kontaktieren.

Arnold-Chiari-Fehlbildung (Malformation)

 

Als Arnold-Chiari-Malformation oder auch nur Chiari-Malformation wird eine Fehlbildung des Übergangs zwischen Hinterhaupt und Halswirbelsäule bezeichnet. Im Wesentlichen verlagern sich dabei Anteile des Kleinhirns (Tonsillen) in das Hinterhauptsloch, wodurch die Zirkulation des Hirnwassers in diesem Bereich beeinträchtigt wird.

Aufgrund der unterschiedlichen Veränderungen, die sich bei dieser Fehlbildung in der Embryonalzeit ausbilden können, werden verschiedene Typen der unterschieden.

Die Chiari Malformation gehört zu den häufigsten embryonalen Entwicklungsstörungen (8 pro 100 000) und bildet sich in der 6.-10. Schwangerschaftswoche aus. Sie wird allerdings nicht vererbt. Die ACM ist angeboren. Durch chronisch erhöhten Hirndruck kann es aber auch einmal zu einer Verdrängung der Kleinhirntonsillen in das Hinterhauptsloch kommen, wodurch ähnliche Symptome wie bei der ACM auftreten können. Meist beginnt die Symptomatik im Kindes- und Jugendalter, es können aber auch einmal 30-40 beschwerdefreie Jahre vergehen, bis die Betroffenen Symptome bemerken.

Fast immer liegt eine Chiari-Malformation im Typ-I vor.

Beim Typ I besteht Verlagerung der Kleinhirntonsillen.in das Hinterhauptsloch, welches oft auch knöchern eng ist. Zusätzlich kann die Spinnenhaut (Arachnoidea) als eine der Hüllen des Gehirns so verwachsen sein, dass die Zirkulation von Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit dadurch behindert wird. Diese Zirkulationsstörung kann die Ursache für eine Syringomyelie (Hohlraumbildung im Rückenmark, siehe dort) sein, die sich u.U. über das gesamte Rückenmark ausbreiten und so Symptome im ganzen Körper hervorrufen kann.

Beim Typ II liegt eine leichte bis starke Verlagerung des Kleinhirns kombiniert mit einer Fehlbildung des Hirnstammes vor. Im verlagerten Hirngewebe sterben Nervenzellen ab. Bei ca. 80% der Betroffenen sind die Gehirnkammern (Ventrikel), die das Hirn- und Nervenwasser bilden, krankhaft verändert, so dass es zu einem Stau des Hirnwassers kommt. Ein solcher Stau führt zu einer Erweiterung der Hirnkammern (Hydrocephalus = Wasserkopf). Wenn die Schädelnähte wie bei Kleinkindern noch nicht geschlossen, dehnt sich der Schädel im Volumen aus und wirkt gegenüber dem kleinen Körper zu groß.

 

Extrem selten ist der Typ III anzutreffen, bei dem sich zusätzlich zu den Veränderungen bei Typ II das Kleinhirns und/oder Teile des Hirnstammes in den Nackenbereich verlagern. Diese Gewebeverlagerung kann bei einer entwicklungsbedingten Lücke in den Schädelknochen austreten, was als Enzephalozele bezeichnet wird. Kinder mit ACM III sind aufgrund der starken Schädigungen kaum lebensfähig

Noch seltener ist der Typ IV. Er beschreibt eine genetisch bedingte Unterentwicklung (Hypoplasie) des Kleinhirns bei kleinerer hinterer Schädelgrube, die im wesentlichen mit Hirnwasser gefüllt ist.

Die bei der ACM auftretenden Symptome sind abhängig vom Typ der Chiari Malformation sowie davon, ob zusätzliche Erkrankungen vorliegen. Es handelt sich dabei um die folgenden Symptome

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  • Kopf- und Nackenschmerzen

  • Schwindel und Gangunsicherheit, insbesondere beim Blick nach oben

  • Empfindungsstörungen (z.B. Kribbeln in den Händen, sensorische Defizite)

  • Koordinationsstörungen

  • Motorische Lähmungen der Arme und Beine

 

In späten Stadien kommt es zu:

  • schlaffen Lähmungen

  • spontanen rhythmischen Augenbewegungen (Nystagmus)

  • Sprechstörungen, v.a. im Sinne einer verwaschenen Sprache

  • Vermindertem Husten- und Schluckreflex, Schluckbeschwerden

 

Kleinkinder können auch einmal durch die Erkrankung lebensgefährdend bedroht sein, z.B. durch Atembeschwerden und Lähmungen der Atemmuskulatur

Ziel der Behandlung ist es, die Fehlbildung und deren Auswirkungen zu beseitigen. Behandlungsmöglichkeiten bestehen vor allem in einer Dekompression-Operation mit Erweiterung der hinteren Schädelgrube und des Hinterhauptsloches, dem Schrumpfen von Wucherungen des Kleinhirns, der Lösung von Verwachsungen in der hinteren Schädelgrube und einer Erweiterung der harten Hirnhaut im Kopf-Hals-Übergang. Nach einer erfolgreichen Operation  bildet sich in vielen Fällen auch eine vorhandene Syrinx (Zyste im Spinalkanal, s.dort) wieder zurück.

Wenn beim Typ II ein Hirnwasseraufstau besteht, dann kann man zur Ableitung von überschüssigem Liquor (Hirnwasser) aus den Hirnventrikel in den vierten Ventrikel ein Abflussröhrchen (Shunt) implantieren. Dadurch wird der entstandene Überdruck im Schädel-Hirnbereich reguliert. Zusätzlich zu dieser Drainageableitung ist aber meist die Behandlung wie oben bei Typ I beschrieben erforderlich.

Bei den Typen III und IV sind Lebensfähigkeit und Operabilität sehr stark von den Umständen des Einzelfalles abhängig, so dass keine allgemeingültigen Aussagen über eine Behandlung getroffen werden können.

Die Diagnose einer Chiari Malformation erfolgt mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT, auch Kernspintomographie). Dadurch werden die für die Chiari Malformation charakteristischen Veränderungen eindeutig abgebildet. Auch Nebenbefunde, wie das Bestehen einer Syrinx sind in Lage und Ausdehnung feststellbar. Durch Anwendung von Kontrastmittel, das während der Untersuchung injiziert wird, können zusätzlich krankhafte Veränderungen wie Tumore sichtbar gemacht werden. Durch eine Computertomographie kann man eventuell bestehende knöcherne Fehlbildungen besser als im MRT darstellen.

 

Um die Zirkulation des Nervenwassers im Schädel bzw. im Rückenmarkskanal darzustellen, ist man in spezialisierten Kliniken in der Lage, mit einer speziellen MRT-Untersuchung den Fluss aufzuzeichnen (s. Abbildung unten). Dabei wird die Pulsation des Nervenwassers bei jedem Herzschlag des Untersuchten angezeigt. Außerdem kann man durch eine exakte Analyse sehr feinschichtiger MRT-Untersuchungen (FIESTA, CISS) selbst kleinste Verklebungen des Rückenmarks und seiner Hüllen mit einer Zirkulationsbeeinträchtigung des Nervenwassers erkennen. Für die Differential-Diagnose von Empfindungsstörungen können manchmal elektrophysiologische Untersuchungen wie die der SSEP (somatosensorisch evozierte Potenziale) oder MEP (motorisch evozierte Potenziale) von Bedeutung sein.

Die Entnahme von Nervenwasser aus dem Rückenmarkskanal (Lumbalpunktion) kann ebenfalls wichtige Hinweise auf andere krankhafte Veränderung im zentralen Nervensystem geben. Sie darf kann aber bei gleichzeitiger Verstopfung des Hinterhauptsloches lebensgefährlich sein und sollte im Allgemeinen zurückgestellt werden, bis die operative Dekompression erfolgt ist.

Mittels spezieller Ultraschalluntersuchungen kann man heute eine Chiari-Malformation schon beim Ungeborenen im Uterus erkennen.

Dynamische MRT-Untersuchung des Liquorflusses. Der dunkle Streifen vor dem Rückenmark zeigt einen normalen Fluss an. Hinter dem Rückenmark ist der Fluss deutlich eingeschränkt. Die Untersuchung wird im Videomodus aufgenommen, wie sich bei jedem Herzschlag Pulsationen des Liquors zeigen.

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